Walter erzählt

STIER Bassist Walter Stöver palavert


Als Martin Stier mich im Herbst 2007 anrief, um Räumlichkeiten für eine Session mit Charlie Steinberg, Lee C. Pinsky und Tom Günzel klar zu machen, war ich davon sehr angetan. "Schau an," dachte ich mir, "haben sie es doch eingesehen, dass Internet-Sessions trotz der Teilnahme eines Entwicklers der Quantensprungtechnik nicht das wahre Leben ersetzen können". Martin und Charlie hatten diese fortschrittliche Methode bereits einige Jahre getestet, um trotz räumlicher Entfernung voneinander kreativ musikalisch zusammen arbeiten zu können (Charlie lebt in Hamburg, Martin in der Nähe von Köln).
Einige Zeit vorher hatte ich Martin, der mich nach einigen wenig fruchtbaren Versuchen mit anderen Songwritern, nach einem passenden kreativen Kopf gefragt hatte, bereits vorgeschlagen, es doch einmal mit Lee C. Pinsky zu probieren. Lee kannte ich aus unserer gemeinsamen Zeit in der "Speed Blues Combo" "OIL OF OZ" (mit Ronald Lechtenberg und Olaf Schräder) und ich wusste: entweder kriegen sich die beiden anarchischen Eigenbrödler tierisch in die Wolle oder es geht höllisch ab. Beides ist eingetroffen. Und jetzt sollten wir uns also wie in alten Zeiten zum gleichzeitigen, gemeinsamen Musizieren treffen! Zunächst war ich ein wenig traurig, dass mein langjähriger Leib- und Magentrommler Olaf Schräder nicht dabei sein sollte aber der Stier machte mir klar: "Was wir hier tun ist kein weiterer Aufguss der alten "Törner Stier Crew", sondern ein neues, frisches Projekt", und ich konnte froh sein, dass Stier, ganz Profi, nicht einen schwarzen XXL Bassisten zur Abrundung der Optik engagiert hatte. Eigentlich wollte er nicht schon wieder die halbe alte Crew im Boot haben (Dank nochmal an Charlie und Lee). Inzwischen fühlt sich das Rhythmuspaket mit unserem Youngster Tom genauso kompakt und powervoll an, wie mit dem inzwischen ergrauten ewig 17jährigen Olaf. Die beiden verstehen sich übrigens prächtig und in einem anderen "frischen Projekt" habe ich meinen öle Römpöm wieder an den Drums. Derweil sorgt Tom in der neuen Band "STIER" für jede Menge Spaß mit Faxen und entspannt das kreative Chaos, das manchmal bei dieser Ansammlung von eigensinnigen Vögeln etwas anstrengend sein kann. A propos kreatives Chaos: Charlie Steinberg kannte ich ja schon in den 70er Jahren, als er noch in Münsters Meppener Straße in einer Musiker-WG (genannt: "Mepplehem") lebte, ganz Hippie, mit Vollbart und einem Meter Haare am Kopf. Sein Zimmer war außer der spärlichen Möblierung aus Jaffa-Kisten und einer großen Matratze mit wirr durcheinander liegenden Krokodilklammerkabeln, Platinen und elektronischen Fachzeitschriften dekoriert; im zerknautschten Bettzeug ein Oszillograph. Inmitten dieses Chaos' verkündete Charlie: "Diese Digitaltechnik ist geil. Ich habe da so eine Idee: Wir brauchen nur mehr Speicherplatz, dann wird Musik ganz anders produziert werden und jeder kann sich das leisten. Geld wird dann keine Rolle mehr spielen." Damals waren gerade die ersten Sinclair Spielzeugcomputer auf dem Markt und wir dachten "Ah ja, hat der Charlie wohl wieder ne super Sorte geraucht…" Heute ist der Name "STEINBERG" weltweit für Musiker und Produzenten der Inbegriff für innovative Technologien. 2009 wurde Charlie für den "Livetime Achievement Award" Grammy nominiert. Zum Glück ist er innerlich ganz der Alte geblieben und wir können froh sein, dass er sich nach Jahrzehnten konzentrierter Entwicklungsarbeit gesagt hat: "Es gibt auch noch ein Leben außerhalb des Computers und ich will wieder Musik zusammen mit lebendigen Menschen machen." H. Martin Stier kenne ich ebenso lange wie Charlie, doch gibt es bei ihm immer noch überraschungsmomente. Er kann ganz "Grand-Seigneur" sein, der sich vom Chauffeur vom First Class Hotel (man gönnt sich auch schon mal die Suite) zum Filmdreh fahren lässt. Wenn es darum geht, Aufgaben im Dienst der Band zu erledigen, lässt er auch schon mal den gnadenlosen Zuchtmeister raushängen. Beim Essen im Restaurant sollte man sehen, dass man seine Bestellung vor Herrn Stier los wird, sonst kann es dauern. Allerdings weiß man dann genau über die Spezialitäten des Hauses Bescheid und was in der Küche gerade besonders frisch angeliefert wurde. Auf der anderen Seite gibt er auch schon mal den anspruchslosen Pfadfinder, der für Bandschlafplätze auf dem Jugendheimfußboden sorgt und ohne Murren seine Luftmatratze aufbläst, nach dem Essen spült und morgens erst mal für alle Schnarchnasen Kaffee kocht. Dann gibt er wieder den asiatisch angehauchten Philosophen mit AiKiDo und ThaiChi Kenntnissen und hin und wieder kann er auch etwas hilflos und tollpatschig wirken. Also ein sanfter Riese zum lieb haben (außer wenn man sich gerade mit ihm in der Wolle hat).

Lee C. Pinsky kenne ich erst seit gut 20 Jahren. Ich begegnete ihm, als die Idee mit einer Band zu touren für mich schon fast gestorben war und ich mich als Taxifahrer und Bauhelfer durchs Leben schlug. Das tat Lee auch und gemeinsam haben wir am Umbau eines Vorstadtbahnhofs zu einem ambitionierten Veranstaltungsprojekt mitgearbeitet. Besonders Lee brachte immer wieder besonderes Flair in die Baustellenatmosphäre, wenn er geile Grooves auf der Speismühle trommelte. Bis zum Architekten war klar: hier bauen Künstler für Künstler. Und folgerichtig haben wir dann in dem Ex-Bahnhof gerockt. Lee war dort in die Dachkammer gezogen. "Oil of Oz" hieß das Projekt, in dem noch Olaf Schräder (der Törner Trommler) und Ronald Lechtenberg (Münsters authentischster Gumbo-Interpret) mitwirkten. Ronnie und Lee spielen total unterschiedliche Gitarrenstyles und das machte diese Band unglaublich spannend. Ich glaube wir waren ziemlich "unique". Und zum ersten Mal packte mich wieder das Tourfieber. Leider war diese Band vielleicht eine Spur zu strange. Jedenfalls haben wir nicht lange genug durchgehalten um über den lokalen Geheimtipp hinaus zu wachsen. Danach habe ich mich in einer Ausbildung bei Dokumentarfilmern und später als Kioskbetreiber versucht. Obwohl in der Richtung schon lange nichts mehr gelaufen war, wollte ich aber immer gerne ein außergewöhnliches Musikprojekt finden, um wieder als Bassist einzusteigen. Die bevorstehende Session war für mich dann natürlich ein besonderes Ereignis und so fand ich für unser erstes Treffen auch einen besonderen Ort. Wir durften bei Freunden auf einen Bauernhof in der großen Diele mit offenem Kaminfeuer proben. Das war dem Ereignis durchaus angemessen und vielleicht hat dieses gediegene Ambiente dazu beigetragen, dass es vom ersten Moment an abging wie "Schmidts Katz". Das hat mich dann doch wieder an die alten Törners erinnert: "Du legst einen Schalter um und schon rappelt es im Karton wie bei ner Dampfmaschin!" Unter anderem dank Lee C. Pinsky's straighten Kompositionen ist die Band "STIER" inzwischen in der Jetztzeit angekommen und sehr bald war man sich einig, dass mit dieser Band noch einmal die Bühnen der Republik und, wenn's geht, auch darüber hinaus, erstürmt werden.